28. Februar 2023
Ausstellungsansicht Kunsthalle Brennabor - Photo © matthes.photographie
Beton in urbanen Räumen aufspüren, Beton in Landschaften entdecken und hinterfragen und wieder sichtbar machen, das Bewusstsein der Betrachter für die Anwesenheit des Baustoffs in unseren Infrastrukturen zu aktivieren und ein Nachdenken über die Folgen, die Hinterlassenschaften menschlichen Handelns anzuregen, das alles in seiner Gesamtheit hat für mich durchaus etwas mit Kunst zu tun. Das nehme ich als Fazit mit aus der Ausstellung ‚Concrete Delusion – The Green Line’ von Manuel Schroeder in der Kunsthalle Brennabor in der Stadt Brandenburg.
Auch ein Werbespruch aus den 70er-Jahren der alten Bundesrepublik bringt es (damals wie heute zukunftsweisend) auf den Punkt: „Beton – es kommt darauf an, was man daraus macht.“.
Und was haben wir daraus gemacht? Manuel Schroeder beschäftigt diese Frage nun seit mehr als 10 Jahren und er sagt, dass das Thema mehr oder minder ihn fand. Als er 2013 in Lettland die Gegend außerhalb der Städte erkundete, die befestigten Straßen verließ und den Trampelfaden ins Nichts folgte, stand er plötzlich mitten in verwaisten und der Natur überlassenen ehemaligen Militäranlagen. Die Ruhe des Ortes, der Kontrast von Natur und Beton warfen die Fragen auf, die zu seinem Thema wurden, zunächst in Lettland und Belarus, später in Westdeutschland und nun ein aktuelles Projekt in der Stadt Brandenburg, das in diesen Tagen beginnt und sich über einige Wochen durch die Stadt ziehen wird.
Zur Veranschaulichung des Themas würzte Volker Dressler vom Freundeskreis Kunsthalle Brennabor e. V. in seiner Eröffnungsrede das Thema gleich mit ein paar schönen vergleichenden Fakten: in Deutschland wurden im Jahr 2021 54,15 Milliarden Liter Beton verkauft, diese Menge könnte die Kunsthalle Brennabor 23.816-mal komplett füllen. Auch bei der Produktion lässt sich Beton nicht lumpen, denn der CO²-Ausstoß je produzierter Tonne liegt bei ca. 600 kg. Das macht die weltweite Betonproduktion mit einem Anteil von 8% zur drittgrößten Emmissonsschleuder hinter China (30,9 %) und den USA (13,5 %). Und bietet somit genug Platz und Angriffsfläche für künstlerische Auseinandersetzungen.
Manuel Schroeder zeigt anhand von Photos seiner Projekte und kleinen Objekten Beispiele seiner Fundstücke, die man jedoch nicht mit den ‚Lost Places‘ internationaler Photocommunitys verwechseln sollte und kann. Da sind zum einen die Eingangs schon erwähnten militärischen Anlagen, die Bilder strahlen Ruhe aus, die Natur hat wieder das Kommando über die Gestaltung der Landschaften übernommen. Da sind zum anderen die wenigen Menschen in den Bildern, die klein und verloren wirken angesichts monströser Betonbauten, den genormten Lebensräumen der städtischen Bevölkerungen (in der DDR nannte man die neu entstandenen Plattenbauwohnungen scherzhaft gern auch ‚Arbeiterschließfächer‘).
Man muss sich einlassen auf die kleine Videoinstallation mit den 7 Bildschirmen, auf denen immer ein- und dieselbe Sequenz wiederholt wird: ein Ausschnitt aus einem laufenden Förderband. Das ewig gleiche Material, wird im ewig gleichen Rhythmus befördert, um den (scheinbar) ewig gleichen Hunger nach mehr Beton zu stillen. Da sind aber auch ausschnittweise die Bilder der genormten Grabsteine aus Beton auf einem russisch-sowjetischen Friedhof außerhalb der lettischen Stadt Daugavpils (zu Sowjetzeiten Dwinsk, davor Dünaburg). Aus Geld- oder Materialmangel (oder beidem) wurden die Bilder der Verstorbenen auf die Betonplatten geklebt, zu Hunderten dort vor Ort zu finden.
Sehr wichtig ist es Manuel Schroeder aber, die Hinterlassenschaften sichtbar zu machen. Und so sucht er in urbanen Räumen nach Betonrückständen aus vergangenen Tagen, streicht diese mit fluoreszierenden Farben an und bringt nachts durch UV-Licht die Objekte zum Leuchten. Die Photos zeigen steinerne Zeugen, die mitten unter uns ‚zu glühen‘ beginnen, als wollten sie uns zurufen: ‚Seht her, uns gibt es auch noch, erinnert euch an uns, erinnert euch an eure eigene Geschichte‘. Das dem Städter Normalgewordene, das den Alltagsblicken Entzogene wieder sichtbar machen ist der Kern dieser Projekte.
Und das folgerichtige Nachdenken über unseren Umgang mit Umwelt und Natur und deren Verbindung zur Kunst. Ein wirklich gelungener Start in das Ausstellungsjahr 2023 in der Kunsthalle Brennabor in der Stadt Brandenburg an der Havel.
Matti M. Matthes // Februar 2023
Weiterführende Links:
Alles über Beton auf einer Seite ...
Website von Manuel Schroeder
Freundeskreis der Kunsthalle Brennabor e. V.